Ziegenhain
Die ersten, die im Mittelalter die günstige Lage des Ortes erkannten, war das alteingesessene hessische Grafengeschlecht der Grafen Gosmar. Um ihre Rechte an dem Schwalmübergang zu behaupten, errichteten sie vermutlich um die Jahrtausendwende eine Rundburg im Bereich des späteren Renthofes. Die Ziegenhainer Linie dieses Grafengeschlechtes wird in einer Urkunde zur Einweihung der Hersfelder Stiftskirche am 17. Okt. 1144 mit den Grafen Gottfried und Boppo de Cigenhagen erstmals erwähnt. Im Jahre 1274 wird Ziegenhain als Stadt bezeichnet. Sie schloss sich mit eiförmigem Umriss an die Burg an und war von einer Stadtmauer umgeben.
ZiegenhainIm sogenannten Sternerkrieg (1371-74) versuchten rund 2.000 Ritter und Knappen unter der Führung des Grafen von Ziegenhain ihre alte Machtstellung gegen die Landgrafen zu behaupten. Als Zeichen der Vereinigung des Sternerbundes diente das Wappen der Grafen von Ziegenhain: ein sechsstrahliger Stern im zweiteiligen Schild. Die Auseinandersetzung endete mit der Niederlage der „Sterner“. 1427 schloss der letzte Graf von Ziegenhain Johann II. einen Schutzvertrag mit Hessen. Aufgrund seiner zunehmenden Verschuldung musste er nach und nach seine Privilegien an den Landgrafen abtreten. Als er 1450 kinderlos starb, ging die Grafschaft durch Testament in den Besitz des hessischen Landgrafen über.
Um 1470 begannen die Landgrafen, die schon vorhandene Burg zum Residenzschloss umzubauen. Der berühmte Baumeister Hans Jakob von Ettlingen war dabei entscheidend beteiligt.
Ziegenhain 1Von 1537 bis 1546 baute Landgraf Philipp Ziegenhain zur Wasserfestung aus. Die Festungsanlagen bildeten ein unregelmäßiges Viereck um Schloss und Stadt und mündeten an den vier Ecken in runde Bollwerke, sog. „Berge“. Der Wallgraben war 40 m breit und ca. 8 m tief und zog sich um die ganze Wallanlage. „So fest wie Ziegenhain“ stand für zwei Jahrhunderte sprichwörtlich für die Uneinnehmbarkeit dieser Festung. 1539 wurde im Schloss unter dem Einfluss des Reformators Martin Bucer die „Ziegenhainer Kirchenordnung“ beschlossen. Sie verpflichtete die Gemeinden zum gewissenhaften Unterricht der Jugend in Glauben und Lehre und führte das Amt der Kirchenältesten und die Konfirmation ein.
Im 30-jährigen Krieg (1618-48) erhöhte man die Verteidigungsbereitschaft der Festung und befestigte die Vorstadt. 1631/32 wurde der Ort Wegebach zwischen Ziegenhain und Treysa von General Tilly dem Erdboden gleich gemacht. Zu den besonderen Ereignissen des Krieges im Bereich der Festung Ziegenhain gehörte die Schlacht bei Riebelsdorf. Die Ziegenhainer Bürgerschützen schlossen sich unter der Führung von Velten Muhly den Truppen unter Oberst von Rosen im Kampf gegen die Kaiserlichen an. In der Schlacht im November 1640 erschoss der Legende nach Velten Muhly den Kommandanten der feindlichen kaiserlichen Truppen Oberst Breda und wurde zum gefeierten Befreier Ziegenhains.Zu Beginn des 7-jährigen Krieges (1756-63) stellte man fest, dass die Verteidigungsanlagen der Festung nutzlos geworden waren.
Als sich die französischen Truppen 1758 näherten, räumte die 93 Mann starke Besatzung kampflos die Festung. Bei einem erneuten Versuch im Jahr 1761, die Festung zurück zu gewinnen, ließ man die Festung 7 Tage lang vom Schafhof aus beschießen. Dabei wurden 47 Häuser in der Festung zerstört. Doch erst im Dezember 1762 rückte die französische Besatzung aus Ziegenhain ab und übergab die Festung friedlich den hessischen Truppen. Für die Zivilbevölkerung war dieser Krieg durch seine großen Zerstörungen die schwerste Zeit in der Geschichte Ziegenhains.
Im 18. Jahrhundert schlossen viele regierende Fürsten mit anderen Krieg führenden Staaten sog. Subsidienverträge. Im Vertrag zwischen Hessen und England vom Januar 1776 verpflichtete sich Hessen, gegen entsprechende Bezahlung, England ständig 12.000 Soldaten für den Kampf im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg (1776-1783) zur Verfügung zu stellen. In Ziegenhain stellte man diese Truppen auf und verschickte sie über Bremen nach Nordamerika. 1806 zogen Napoleons siegreiche Truppen kampflos in die Stadt ein und begannen ab 1807 die Festung zu „schleifen“.
Ziegenhain 2Von 1821 bis 1974 war Ziegenhain Kreisstadt des neu gebildeten Landkreises Ziegenhain. Sowohl hinsichtlich der baulichen als auch der Bevölkerungsentwicklung konnte sich Ziegenhain nur langsam aus der jahrhundertelangen Eingeschlossenheit durch die Festungssituation lösen. 1832 wurde die Garnison in Ziegenhain endgültig aufgelöst und ein Teil ihrer Gebäude an die Bürger verkauft oder abgerissen. 1842 errichtete man ein Zwangsarbeitshaus im Schloss, das mit damals 400 Strafgefangenen die größte Anstalt in Hessen war. Weitere Umbauten und Modernisierungen ließen die heutige Justizvollzugsanstalt mit erhöhtem Sicherheitsbereich und das Freigängerhaus entstehen, das nunmehr in erster Linie der Unterbringung älterer Gefangener dient.
Ziegenhain 3Das Ziegenhain von heute wird besonders vom Fremdenverkehr und von der liebevollen Pflege der Trachten und des Brauchtums bestimmt. Man findet hier das Museum der Schwalm, die Kulturhalle, die Asklepios-Klinik, ein Freibad und einen Segelflugplatz. Seit dem 1. Januar 1971 ist Ziegenhain ein Teil der durch die Gebietsreform gegründeten Stadt Schwalmstadt. Der alte Landkreis Ziegenhain ging 1974 in den Schwalm-Eder-Kreis über, dessen neue Kreisstadt Homberg/Efze wurde.
Ziegenhain - Wiege der Konfirmation
In Ziegenhain steht die Wiege der Konfirmation. Kindertaufe oder Taufe als persönliches Bekenntnis zum Glauben? - Der Streit um diese Frage aus den Anfangsjahren der Reformation wurde in Ziegenhain beigelegt. Landgraf Philipp I. holte dafür den Straßburger Reformator Martin Bucer zu einer Versammlung in die Ziegenhainer Wasserfestung. Gemeinsam mit Theologen, Juristen und Anhängern der Täufer-Bewegung handelte Bucer in der strittigen Frage 1539 einen Kompromiss aus: Die Ziegenhainer Zucht- und Ältestenordnung. Darin war geregelt, dass die Kindertaufe zwar beibehalten werden sollte, Heranwachsenden aber zusätzlich ein persönliches Taufbekenntnis ablegen sollten - die Geburtsstunde der Konfirmation. Weitere Infos unter www.konfirmationsstadt.de
Erlebbare Angebote:
Gästeführung durch die historische Wasserfestung Ziegenhain mit ausführlichen Erläuterungen zur Geburtsstunde der Konfirmation. Anlässlich des Jubiläums "475 Jahre Konfirmation" im Jahr 2014 hat der Evangelische Kirchenkreis Ziegenhain einen Pilgerpfad eingerichtet. Der 21 Kilometer lange Weg verbindet fünf Kirchengemeinden und lädt zur Begegnung mit dem Katechismus ein